Es gibt einiges zu erzählen… Dieser Eintrag wird wohl einer der längsten im Blog werden:
Finally, ich bin in KOLUMBIEN !!! :)
Ich wog am Morgen meines Abfluges den Koffer und die Waage zeigte mir eine halbe Stunde vor Abfahrt unheilvolles an: 29kg. Damit war meine Gelassenheit endlich weg und ich bekam Panik. Erstaunlicherweise blickte ich die vorherigen Tage entspannt auf das bevorstehende Jahr, nicht mehr in diesem Moment. Von 29kg auf 23kg – wie um alles in der Welt stellt man das an? Da entscheidet man zwischen Pest oder Cholera, zwischen Turnschuhen oder Mückenspray.
Am Flughafen traf ich Joshua (Libano), Selena (Bogotá) und Jakob (ebenfalls Ibagué, allerdings ein anderes Projekt), die anderen Kolumbienfreiwilligen aus dem Bistum. Ich packte meine Kulturtasche bei Selena in die Tasche, ein paar Printen zu Joshua und mit einem Mal zeigt mir die Flughafenwaage 19.5kg an. Ganz schön frech die verflixte Waage zuhause! :D Ich habe keinen Schimmer, was da passiert ist.
Der Rest verlief wie auf Schienen… ein schwerer Abschied von meinen Eltern, Check-In, Kontrolle, und mit einem Mal saßen 4 Schniefnasen in einem großen Lufthansaflugzeug one-way nach Bogotá. 11 Stunden Flug, 4 Filme (oder waren es 5?), 2 Alufolien verpackte Essen und 1 Baileys zum Anstoßen später, flogen wir über das riesige Lichtermeer Kolumbiens Hauptstadt. Ein Kribbeln auf der ganzen Haut, was würde mich erwarten?
Wir wurden herzlich empfangen. Ich habe selten so viele offenherzige, interessierte und liebevolle Menschen kennengelernt wie hier. Das sage ich, nachdem ich eine mickrige Woche hier verbracht habe. Bogotá ist voll, laut, unübersichtlich und vor allem beeindruckend! Die Stadt ist riesig. Mehr kann ich leider noch nicht über die Metropole sagen, da wir nur zum Hotel fuhren und am nächsten Morgen wieder aus der Stadt heraus, in Richtung Ibagué. Allerdings werde ich versuchen, mir in Ruhe ein Bild von ihr zu machen, sie im Ansatz zu erfassen. Es ist doch noch alles etwas irreal für mich, es ist nicht greifbar. Alles, was ich bisher gesehen und erlebt habe, ist nicht mit Deutschland zu vergleichen. Es ist kunterbunt. Es ist anders. Es gefällt mir!
Ibagué – Willkommen in der Stadt der Musik
.. das steht auf den Ortsschildern meiner neuen Heimat. Diese Schilder sprechen Bände. Überall spielt fast jederzeit Musik aller Art, es ist unglaublich! Die Viertel und Straßen sind bunt, Menschen, Hunde und Katzen sitzen lieber auf der Straße, als für sich alleine in ihren Häusern zu sein. Oder besser noch beginnen die Menschen zu singen oder zu der Musik zu tanzen. Alles ist gesäumt von einer beeindruckenden Bergkulisse und die Sonne scheint. Das Leben spielt sich hier größtenteils außerhalb der eigenen 4 Wände ab. Es ist eine andere Welt und sie fasziniert mich mit all ihren (noch unentdeckten) Facetten.
.. Sie fasziniert, wenn man dann ankommt! Schnellführer Lektion 1, Kolumbianischer Straßenverkehr:
Punkt 1) Hier macht man keinen Führerschein, man kauft einen.
Punkt 2) Hinten kannst du dich nicht anschnallen, nie.
Punkt 3) Überlebe die Fahrt!
Genug vom Straßenverkehr! Die erste Woche war so intensiv und vielfältig, es gibt eine Menge zu erzählen.
Gleich zu Beginn fuhren wir nach Tierra Firme, dem Stadtviertel, indem sich die „Fundación Concern Universal“ befindet. Dies ist meine Einsatzstelle. Das Eingangstor ist bunt angestrichen und der gesamte Gebäudekomplex ist verwinkelt, bewachsen und empfängt einen freundlich. Meine Sympathie ist schon jetzt groß, ich freue mich auf die bevorstehende Zeit dort. Ich lernte gleich meine Chefin Siobhan kennen und ihren Sohn Gabriel, welcher in meinem Alter ist. Auch wurde ich ein paar weiteren Mitarbeitern vorgestellt, allerdings werde ich alle noch richtig kennenlernen, wenn ich im September beginne, an den Projekten teilzunehmen. Siobhan ist Engländerin und eine wirklich beeindruckende Person in meinen Augen. Wenn es Gutmütigkeit in Person geben würde, dann würde es sie wohl gutmöglich Siobhan heißen.
Ihr Sohn Gabriel hat bisher schon einiges mit mir und Joshua unternommen. Joshua wohnt den ersten Monat mit mir zusammen, da wir die Freiwilligen vom BDKJ sind und gemeinsam mit Jakob einen Sprachkurs absolvieren. Jakob ist schon in seine Wohnung gezogen, da er wie ich in Ibagué bleiben wird. Gabriel ist super, wir verstehen uns sehr gut mit ihm. Er bringt uns ein bisschen unter Menschen, zeigt uns die Stadt, geht mit uns aus. Beispielsweise waren wir heute in einem Freibad grillen, welches natürlich bewässert wird. Das Wasser kommt aus einer Quelle in den Bergen :)
Schwimmen ist hier selbst bei Nacht überhaupt kein Problem. Hier ist nämlich wirklich ziemlich heiß! Akklimatisiert bin ich noch lange nicht. Wie ist das Wetter in der Heimat? Ich denke ich werde kaum falsch liegen mit der Annahme, dass ihr etwas Sonne gebrauchen könntet? :D Ich schicke euch etwas rüber, Sonne gibt es hier wirklich en masse. Man hat mir vorher oft gesagt, dass es nur zu Regenzeiten regnen würde. Davon kann ich bisher nicht sprechen, da es öfters abends geregnet hat. Ich mag den Regen hier, er ist stark und er geht vorüber. Alles kühlt etwas ab und am nächsten Tag scheint alles noch bunter und lebendiger zu sein, als sowieso schon.
Aber nicht alles hier läuft gut und einwandfrei. Joshua und ich hatten in unserer ersten Woche einiges zu bewältigen, was uns unseren Start nicht gerade erleichtert hat. Um ehrlich zu sein, konnte ich dadurch nicht alles so genießen, wie ich es mir gewünscht hätte, allerdings bin ich mir sicher, dass das noch kommen wird. Die Wohnung, in der Joshua und ich derzeit leben ist vielerlei belebt durch kleinere Mitbewohner. Sie verwerten hervorragend unseren Müll. Ein bisschen Schimmel an der Wand und wow, es ist laut! Im selben Haus lebt eine kleine Fußhupe von Hund, die immer von den Besitzern ausgeschlossen im Flur angeleint wird und dann die gesamte Nacht durchwimmert und bellt. No problema, tengo Ohrenstöpsel! Oder eine andere Anekdote: Ich bin eines Nachts aufgewacht, weil ich mich gekratzt habe. Ich dachte es sei eine Mücke gewesen.. leider nein, leider gar nicht! Es stellte sich heraus, dass eine Katze mit Flöhen in unseren Betten geschlafen hatte, während die Wohnung unbezogen war. Ich habe seitdem juckende, rotgeflatschte Beine (sieht echt gut aus! Ich habe noch einige Mückenstiche und auf die Flohbisse habe ich allergisch reagiert). Diese Nacht forderte also heraus, dass Joshua und ich am nächsten Tag alles waschen mussten. Eine Stunde später stand die gesamte Küche unter Wasser, man konnte „Flöhe versenken“ spielen. Der Abwasserschlauch der Waschmaschine hatte sich durch den Wasserdruck gelöst und freudvoll in der Luft umhergetanzt (wir hatten ihn vorsorglich in der Spüle eingeklemmt). Es ist das reine Chaos gewesen! In unserer Verzweiflung konnten wir nur noch herzlichst lachen und mit einem Cerveza anstoßen.
Nach einem heftigen Regen hatten wir einen Tag kein Wasser mehr, da wir keinen Tank auf dem Dach haben und Steine und Geröll die Leitungen des Viertels zerstört hatten. Mir ist dadurch noch einmal enorm bewusst geworden, wie abhängig der Mensch vom Wasser ist. Toilette abspülen, duschen, spülen, trinken, Zähneputzen ist nicht! Generell gibt es in einigen Haushalten nur kaltes Wasser. Durchaus sinnvoll, da es sowieso zu heiß ist zum Warmduschen. Ist man es nicht gewöhnt, ist es anfangs allerdings ein ziemlicher Akt. Aber wie wir ja alle wissen ist es gut für die Krampfadern, die Cellulite, die Durchblutung und die Erfrischung, Indianer kennen keinen Schmerz! Gut, ich bin ein Warmduscher – das bestreite ich nicht, meine Lieben.
Seid beruhigt, ich werde umziehen. Meine neue Wohnung ist fantastisch, ich freue mich sehr dort einzuziehen. Sie ist 2 Minuten von Concern entfernt, ist komplett neu renoviert, hell und super schön! Ich hätte mir niemals erträumt unter solchen Umständen leben zu können. Aber sie befindet sich tatsächlich im vorgegebenen Budget! Das i-Tüpfelchen ist mein Ausblick. Ich gucke auf die malerische Bergkette im Norden Ibagués. Das macht all die Faxen mit der jetzigen Wohnung wieder wett. Sobald Fenster und Türen eingebaut sind, werde ich umziehen können.
Neben den Wohnungsstrapazen verbrachten wir viel Zeit auf Ämtern, im Krankenhaus und im Claro-Shop, dem Netzanbieter hier. Es gibt eine Menge zu erledigen, wenn man ein Jahr in Kolumbien leben und arbeiten möchte… Eine Blutabnahme und meine gesamten Fingerabdrücke sind nur ein kleiner Einblick in unsere To-Do-Liste der letzten Woche. Wir sind wirklich erledigt! Dafür wird es jetzt von Tag zu Tag immer schöner werden, was muss, das muss ;)
Den Jetlag habe ich weitestgehend ausgeschlafen. Es bedarf mehr Zeit, als ich dachte. In Kombination mit der Hitze, der Sprache und des Ämterlaufs ist er schon recht zerrend. Derzeit bin ich noch ziemlich empfänglich für den Alltag hier. Ich merke schon jetzt, wie sich einige Dinge, als ‚normal‘ einschleichen, wobei man sie in Deutschland vielleicht gar nicht kennt. Ich versuche mich gezielt aufmerksam auf eben diese Dinge zu machen. Überall in der Stadt und sogar an den Schnellstraßen außerhalb gibt es kleine Stände, die allerlei anbieten. Auf dem Weg zur Arbeit, im Taxi, oder auf der Reise in eine neue Stadt wirst du niemals verhungern oder –dursten! Unter einem Sonnenschirm braten die Menschen „Arepas“ und Fleisch, sie pressen frische Säfte aus allen erdenklichen und mir/euch unbekannten Früchten (kennt jemand die Frucht Lulu?), sie ordnen Süßigkeiten, Früchte, Nüsse..
Etwas wie Ruhestörung gibt es hier glaube ich nicht. Oder aber, es fühlt sich hier niemand vom Lärm belästigt. Die Menschen unterhalten sich rege in den Straßen, in Cafés und Restaurants. Der Verkehr dröhnt, Musik spielt durcheinander – es ist das Getümmel!
Seit diesem Mittwoch haben wir an der Universidad de Tolima einen Spanischsprachkurs. Bisher wiederholen wir recht viel von dem, was ich schon gelernt habe. Angela, unsere Lehrerin, fängt ganz von vorne an, da unsere Sprachlevel recht unterschiedlich sind. Es sind lustige Stunden, denn dieser Unterricht ist vollkommen unkonventionell. Angela hat Pfeffer im Arsch. Sie lernt spielend mit uns, zwingt uns fremde Menschen mit persönlichen Fragen auf Spanisch zu durchbohren, gibt uns als Hausaufgabe auf mit den Studenten ihrer Business Class feiern zu gehen. Hauptsache wir sprechen spanisch und kommen unter Menschen. Meine Lieblingsmethode ist die folgende: Wir prüfen unser Wissen mit Quizzen und der Gewinner bekommt Süßigkeiten :D Wir hatten erst 3 Tage Unterricht und ich freue mich auf jeden weiteren mit ihr und den Jungs!
Am zweiten Tag in der Uni, gab es einige Unruhen. Wir wissen nicht genau worum es geht, aber es scheint öfter vorzukommen. Wir unterbrachen den Unterricht kurz, wegen ein paar lauten Knalls. „Papas bombas“, selbstgebaute, kleine Bomben, bestehend aus Kartoffeln explodierten auf dem Campus. Im Endeffekt handelte es sich um eine Gruppe komplett maskierter Studenten. Diese Maskierungen dienen hier dem reinen Selbstschutz. Erkannt zu werden, kann schwere Folgen haben. An diesem Tag waren es ruhige Proteste, ein Menschenkreis hatte sich um die Gruppe gebildet und hörte ihren Worten zu.
Sie forderten Mithilfe und vor allem den Mut an den Protesten teilzunehmen. Angela vermutete, dass es sich entweder um die Rechte der Studenten, oder um die Ausbeutung der Rohstoffe durch Investoren im Umland, beispielweise Gold, handelte. Wofür es letzten Endes auch war, es beeindruckte mich sehr. Hier scheinen die Menschen auf die Straße zu gehen und ihre Stimmen gegen Ungerechtigkeiten zu erheben. Dies leider nicht immer gewaltfrei.. Teilweise kommt es zu heftigen Aufständen und die oben genannten Papas Bombas fliegen in die Menge, oder auf die Gebäude. Sollte dieser Fall eintreten, verlassen wir umgehend die Uni. Da dieser Protest jedoch recht friedlich verlief, hatten wir die Gelegenheit, ihn ein bisschen an der Seite von Angela zu beobachten. Sollte ich genaueres über diese Vorgänge erfahren, berichte ich davon, oder stelle Dinge richtig, wenn sie falsch sein sollten. Aber das braucht viel Zeit und mehr Spanisch.
Es ist wirklich unwahrscheinlich viel passiert in dieser Woche und ich versuche so viel aufzuschnappen und zu lernen, wie es mir nur möglich ist.
Internet habe ich derzeit noch nicht, außer sporadisch über das Handynetz hier. Das reicht auf meinem Handy allerdings auch nur für Whatsapp. Dies erschwert mir die Kommunikation ein wenig. Ich muss mir bei Jakob oder bei Concern Universal Internet erschnorren. Da ich wenig Zeit hatte bisher, bin ich noch nicht ganz mobil. Das wird sich bestimmt ändern, aber tranquilo tranquilo! Hier gibt es zwar Internet, Straßen, Smartphones und Wasserleitungen wie bei uns (auch hier ist das 21. Jahrhundert eingekehrt, bitte fragt mich nicht mehr danach :D), allerdings alles in erschwerter Form, teilweise brüchig und langsam. Jedoch ist alles in Arbeit :)
Das Wochenende verbringen wir in Libano, bei Joshuas Einsatzstelle im „Hogar del nino“. Lieben Dank fürs Lesen und Mitfiebern!
Hasta pronto mi amigos,
Amélie